Diabetisches Fußsyndrom

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Unter dem diabetischen Fußsyndrom werden die Folgeschäden einer diabetischen Grunderkrankung verstanden, die sich am Fuß manifestieren können. Die Prävalenz des Fußulkus beträgt bei Diabetikern in Deutschland 2 bis 10 %. Unzureichend behandelte Erkrankungen des diabetischen Fußes sind wegen der erheblichen Einschränkung der Lebensqualität des Patienten eine medizinische Herausforderung für den behandelnden Arzt und haben eine hohe ökonomische Relevanz hinsichtlich der hohen Therapie- und Folgekosten. Innerhalb von fünf Jahren kommt es bei etwa 60 % der Patienten zu Rezidiven, die eine Amputation erfordern.
In Deutschland werden etwa 70 % aller Amputationen bei Diabetikern durchgeführt.In einer S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft, einer Leitlinie der Infectious Diseases Society of America (IDSA) und einem Bericht des britischen National Health Service wurden Primär- und Sekundärmaßnahmen im Rahmen der Erkrankung eingehend kritisch untersucht und bewertet. Sie zeigen einen Effekt von Primärmaßnahmen wie Schulung des Patienten, Einrichtung von Diabetes-Zentren und Anfertigung eines geeigneten Schuhwerks. In der Sekundärtherapie zeigte sich ein Anhalt zur Wirksamkeit lokaltherapeutischer Maßnahmen. Die Empfehlungen zur Antibiotika-Therapie haben wegen häufig schwacher Datenlage oft keinen hohen Evidenzgrad. Maßgebliches Kriterium zur Einschätzung der Effektivität einer Maßnahme ist die Amputationsrate oberhalb der Chopard-Linie. Für eine praxisnahe Beurteilung der Heilungsaussichten bzw. einer drohenden Amputation kann der DUSS-Score 1 bis 4 (Diabetic ulcer severity score) herangezogen werden, der sich aus den in Tabelle 1 aufgeführten Parametern errechnet. Bei Patienten mit geringer Punktzahl ist die Wahrscheinlichkeit einer Ausheilung hoch, bei Patienten mit hoher Punktzahl besteht dagegen ein hohes Risiko für eine Amputation. Ein Anstieg der Punktezahl um 1 reduziert de Heilungsaussichten um 35 %.

Tab. 1 DUSS-Score

Parameter Beurteilung Punkte
Fußpuls vorhanden Nein 1
Knocheninfektion Ja 1
Ulkuslokalisation Zeh Ja 0
Ulkuslokalisation Fuß Ja 1
Anzahl der Ulzerationen = 1 Ja 0
Anzahl der Ulzerationen > 1 Ja 1

Bei diabetischem Fußsyndrom bestehen sehr häufig infektiöse Komplikationen. Fußdeformitäten und Fehlbelastungen sind die Ursache von Druckgeschwüren, die wegen der diabetischen Neuropathie vom Patienten oft nicht rechtzeitig bemerkt werden. Darüber hinaus zeigt der diabetische Fuß eine charakteristische trockene, schuppige Haut, die zu Rissbildungen und Fissuren neigt. Eine Durchblutungsstörung der unteren Extremitäten (periphere Verschlusskrankheit) trägt wesentlich zur Entstehung von Fußläsionen bei. Über diese Läsionen oder nach Verletzungen durch Manipulationen an Zehennägeln, Fußsohlen, und Hornhäuten gelangen Bakterien in den subkutanen Bereich und verursachen Infektionen. Akzelerierend auf den Verlauf wirkt eine infektionsbedingte Schwellung in den Muskelbogen des Fußes. Es kann sich ein Kompartment-Syndrom mit septischer Nekrose entwickeln. Das Krankheitsbild des infizierten diabetischen Fußes ist naturgemäß sehr vielschichtig und umfasst die Paronychie, Abszesse, Myositis, Gewebsentzündungen, septische Arthritis, Tendinitis, Osteomyelitis und nekrotisierende Fasziitis. Die häufigste Diagnose ist das infizierte diabetische „Malperforans“-Geschwür.
Eine Beurteilung der Tiefe und der Ausbreitung einer Infektion bei diabetischem Fuß wurde bisher nach der Wagner-Klassifikation (Tab. 2) vorgenommen. Die Wagner Klassifikation berücksichtigt jedoch keine weiteren Risikofaktoren. Eine weitergehende Beschreibung konnte nach der kombinierten Wagner-Armstrong-Klassifikation erfolgen, die das Auftreten von Infektionen (Armstrong B), Ischämien (Armstrong C) bzw. deren Kombination (Armstrong D) berücksichtigt.
Neuere Empfehlungen zur Klassifikation schließen die Beurteilung des metabolischen Status, systemische Zeichen einer Infektion, Durchblutungsstörungen, Fußdeformationen, das soziale Umfeld des Patienten, mentale Faktoren und eine eingehende Beurteilung der Wunde hinsichtlich Ausmaß, Tiefe und Geruch ein. Kriterien einer detaillierten Beurteilung infizierter diabetischer Füße zeigt die Tabelle 3 [nach ISDA].
Die Diagnose des diabetischen Fußsyndroms erfolgt somit über die Anamnese, die klinische Inspektion, Palpation und sensomotorische Untersuchungen. Zum Nachweis der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und zur Beurteilung der Tiefe einer Wunde sollten bildgebende Verfahren herangezogen werden. Grundlage zur Beurteilung der Schwere der Erkrankung sind die genannten Kriterien. Nach der PEDIS-Einteilung (perfusion, extent, depth, infection, sensation) erfolgt die Klassifikation der Schweregrade 1 bis 4 wie in Tabelle 4 gezeigt.

Die Auswahl der Applikationsart der Antibiotika in der Behandlung des infizierten diabetischen Fußes, Therapiedauer und Notwendigkeit einer stationären Behandlung sind abhängig von der Beurteilung des Schweregrades, der Ausbreitung (Phlegmone u. ä.) und individueller Risikofaktoren.
Nur leichte Infektionen können oral behandelt werden. Destruierende Infektionen werden mit dem Ziel, das infizierte Gewebe zu entfernen und einen Eiterabfluss zu gewährleisten, stationär behandelt. Bei diesen schweren Infektionen empfiehlt sich zumindest in der Initialtherapie die parenterale Gabe eines Antibiotikums. Eine Sequenztherapie ist meist möglich.
Bei Mikroläsionen und kleinen ulzerösen Veränderungen ist eine konservative Therapie mit Entlastung des Fußes und lokalen Maßnahmen indiziert. Bei lokal begrenzten oberflächlichen Infektionen muss ein Débridement vorgenommen werden.
Für die Effektivität einer topischen Behandlung liegen nur sehr wenige Daten vor. Sie kann im Einzelfall bei leichteren Infektionen sinnvoll sein.

Tab. 2. Wagner Klassifikation

Wagner 0 Knochendeformationen und Hyperkeratosen ohne offene Ulzerationen
Wagner 1 Auf die Haut beschränkte Ulzerationen
Wagner 2 Auf die Sehnen und Gelenkkapsel übergreifende Ulzerationen
Wagner 3 Wagner 3 Ulzeration und Osteomyelitis
Wagner 4 Umschriebene Gangrän
Wagner 5 Auf den gesamten Fuß übergreifende Gangrän

Die Auswahl des Antibiotikums sollte das erwartete Erregerspektrum berücksichtigen. Erreger des infizierten diabetischen Fußes sind Staphylokokken, Streptokokken, Pseudomonaden, gramnegative Bakterien, Anaerobier und gelegentlich auch Pilze. Bei allen Formen des diabetischen Fußes muss mit dem Vorkommen grampositiver Erreger gerechnet werden, mit zunehmendem Schweregrad eskalierend auch mit gramnegativen Erregern und Anaerobiern. Bei schweren Verlausformen haben Erreger mit mehrfacher Resistenz eine hohe klinische Relevanz.

Die initiale Antibiotika-Therapie erfolgt oral mit Amoxicillin/BLI, Sultamicillin, Dicloxacillin oder Cephalosporinen Gruppe 1 und 2 (z. B. Cephalexin) oder Ciprofloxacin. Alternativ stehen in schweren Fällen Moxifloxacin oder Levofloxacin und bei Nachweis von MRSA/MRSE auch Linezolid zur Verfügung. Evidenz-basierte Daten, die einen Vorteil eines der Antibiotika zeigen, liegen nicht vor. Bei leichten Infektionen wird eine Therapiedauer von ein bis zwei Wochen empfohlen, bei mittelschweren Infektionen zwei bis vier Wochen.

Tab. 3. Beurteilung infizierter diabetischer Füße (nach IDSA)

Patient Klinik Untersuchungen und Maßnahmen
Systemische Reaktion Fieber
Schüttelfrost
Schwitzen
Erbrechen
Hypotension
Tachykardie
Anamnese
Körperliche Untersuchung
Hyperglykämie
Flüssigkeitsverlust
Azotämie
Tachypnoe
Hyperosmolarität
Azidose
Laboruntersuchung
Mentaler Status Delirium
Demenz
Depression
Benommenheit
Eingeschränkte Denkleistung
Feststellung des mentalen Status
Soziales Umfeld Selbstvernachlässigung
Vorhandene/potenzielle Non-Compliance
Fehlende Betreuung
Befragung
- Pflegepersonal
- Familieangehörige
- Lebenspartner u. ä.
Fuß, Körperglied
Biomechanik Deformationen
Charcot-Arthropathie
Hammerzehe
Hornschwielen
Klinische Beurteilung des Fußes
2 Röntgenaufnahmen
Vaskulärer Status Arterielle Ischämie
Arteriel Nekrose
Arterielles Gangrän
VenöseÖdeme
Venenstau
Venöse Thrombose
Transkutaner Sauerstoffpartialdruck
Doppler-Sonographie
Angiographie Körperliche Untersuchung
Fußpulsmessung
Neuropathie Verlust der Schmerzempfindung Wahrnehmungen von
- Berührung
- Druck
- Vibration (Stimmgabeltest)
- Wärme-, Kälteempfindung
Wunde
Größe/
Tiefe
Nekrose
Gangrän
Fremdkörper
Ausdehnung auf
- Muskeln
- Gelenk
- Sehnen
- Knochen
Inspektion der Wunde
Reinigung der Wunde
2 Röntgenaufnahmen
Ausmaß/
Symptome/
Infektionsquelle
Eiter
Wärme
Empfindlichkeit
Schmerz
Induration
Zellulitis
Abszesse
Fasciitis
Osteomyelitis ·
Sonographie oder MRT (zur Diagnose· tiefer Abszesse)
Mikrobiologische Diagnostik
- Gramfärbung
- Kultur
Röntgenaufnahme und/oder MRI (zur· Diagnose einer Osteomyelitis)


Tab. 4 Einteilung nach PEDIS

Klinik Schwere der Infektion PEDIS
Wunde ohne manifeste Entzündungszeichen

Keine Infektion 1
2 Entzündungszeichen (Eiter, Erythem, Induration, Schmerz, Wärme, Empfindlichkeit) und· Begrenzung = 2 cm, nur Haut und oberflächliches Gewebe und· keine lokalen Komplikationen und· keine systemische Erkrankung

Leichte Infektion 2
Nachgewiesene Infektion (s. o.) bei metabolisch stabilen Patienten im guten Allgemeinzustand und mindestens ein weiteres der folgenden Kriterien
- Ausbreitung = 2 cm
- in unmittelbarer Nähe Ausbreitung roter Lymphbahnstreifen
- Abszesse im tiefen Gewebe
- Gangrän
- Infektion der Sehnen, Muskeln, Knochen, Gelenke

Mittelschwere Infektion 3
Systemische Reaktionen
Metabolische Instabilität mit Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie, Hypotension, Verwirrtheit, Erbrechen, Leukozytose, Azidose, schwere Hyperglykämie, Azotämie
Schwere Infektion 4